Medizinisches Cannabis auf dem Abstellgleis – Wieso eine Exportnation importieren muss

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Als der Hanfverband im vergangenen Jahr beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) angefragt hatte, ob Kanadas Legalisierung die Importe von Medizinal-Cannabis gefährden könne, verneinten dies beide. Der Hintergrund der damaligen Anfrage: Uruguay wurde von vornherein von der Bundesregierung als möglicher Lieferant für medizinisches Cannabis ausgeschlossen, da dort Cannabis auch zu Genusszwecken legal sei. Damit verstoße Uruguay gegen das internationale Suchtstoffabkommen der UN. Zudem habe es sich aufgrund der zu liberalen Cannabis-Politik eine Rüge des Suchtstoffkontrollrats der Vereinten Nationen, dem INCB (International Narcotics Control Board), eingehandelt.

„Uruguay unterhält zwar eine sogenannte Cannabisagentur, verstößt aber nach den Feststellungen des INCB gegen das Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe von 1961, weil es den Konsum von Cannabis zu Genusszwecken legalisiert hat“,

bekräftigte die Bundesregierung noch im September 2017 im Rahmen einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken. Doch als in Kanada die Legalisierung 2018 kurz vor der Tür stand, schien dies weder BMG noch BfArM zu stören.

„Nach Kenntnis der Bundesregierung soll der bisherige kanadische Rechtsrahmen für den Anbau und den Vertrieb von Cannabis zu medizinischen Zwecken, unter dem der Export nach Deutschland stattfindet, auch unter der geplanten neuen kanadischen Gesetzgebung bestehen bleiben können. Soweit ersichtlich, hat das für die Kontrolle der Einhaltung der VN-Suchtstoffkonventionen zuständige Internationale Suchtstoffkontrollamt der Vereinten Nationen (INCB) bislang Verstöße gegen die Konventionen durch den gesetzlich geregelten und kontrollierten Anbau von medizinischem Cannabis in Kanada sowie das entsprechende Inverkehrbringen von medizinischem Cannabis (im Rahmen der vom INCB genehmigten „estimates“) nicht gerügt.“

hieß es im Mai 2018 aus dem BMG.

Mittlerweile wurde Kanada vom INCB nicht nur für die Re-Legalisierung gerügt, der Suchtstoffkontrollrat hat auch das medizinische Cannabis-Programm als unzureichend eingestuft. Im Jahresbericht 2018 heißt es:

„Im Rahmen von medizinischen Cannabisprogrammen von Kanada und einigen Staaten der Vereinigten Staaten wurde es Patienten erlaubt, Cannabis unter minimaler medizinischer Aufsicht bei kommerziellen Anbietern für eine Vielzahl von Diagnosen zu kaufen. Eine schwache Regulierung des medizinischen Konsums hat einen Anstieg des nicht-medizinischen Konsums ermöglicht und, nach Ansicht einiger, die Legalisierung des nicht-medizinischen Cannabiskonsums erleichtert.“

Und weiter:

„Im Rahmen von medizinischen Cannabisprogrammen, die in Kanada und möglicherweise in einigen anderen Staaten sowie in einigen Staaten der Vereinigten Staaten durchgeführt werden, ist der medizinische Konsum von Cannabinoiden schlecht geregelt. Diese Programme stehen im Widerspruch zu den internationalen Drogenkontrollabkommen, da sie die Produktion und das Angebot von Cannabis nicht kontrollieren. Sie gewährleisten nicht, dass qualitativ hochwertige Arzneimittel unter ärztlicher Aufsicht bereitgestellt werden, und sie ermöglichen es, Cannabis und seine Derivate für den nicht-medizinischen Gebrauch zu verwenden.“

Im BfArM sieht man das gelassen. Dort heißt es auf Nachfrage, die Antwort aus dem letzten Jahr gelte auch heute noch. Damals antwortete die Pressestelle:

[…]. In Deutschland (darf) nur Cannabis in Verkehr gebracht werden, das aus einem Anbau stammt, der zu medizinischen Zwecken unter staatlicher Kontrolle gemäß den Artikeln 23 und 28 Absatz 1 des Einheits-Übereineinkommens von 1961 über Suchtstoffe erfolgt. Wir gehen davon aus, dass Kanada diese Voraussetzungen auch in Zukunft erfüllen wird, wenn das jeweils geerntete Cannabis für den Export nach Deutschland vorgesehen ist.“

Die Kritik des INCB am medizinischen Cannabisprogramm in Kanada, die dem BfArM zum Zeitpunkt der Antwort noch nicht vorgelegen hatte, wollte man auch auf erneute Nachfrage nicht kommentieren.

Mit zweierlei Maß

Natürlich wollen weder der DHV noch Patienten, Ärzte oder Mitglieder der Regierung, dass die Importe aus Kanada umgehend gestoppt werden. Das würde die ohnehin schlechte Versorgungslage immens verschlimmern, da kanadische Firmen mittlerweile der wichtigste Medizinalhanf-Produzent sind. Aber die Laissez-faire Haltung des BfArM ist ein weiterer Mosaikstein, der belegt, dass sich die Bundesregierung aus dem Geschäft mit medizinischem Cannabis raushalten und die Entwicklung der neuen Branche am liebsten kanadischen Firmen überlassen möchte. Würde mit gleichem Maß gemessen wie im 2017 Fall von Uruguay, so wären die Importe aus Kanada nach der Ohrfeige des INCB bald Geschichte. Es sei denn, Kanada organisiert sein medizinisches Programm ähnlich wie die deutsche Regierung und lässt zu, dass es Teil des Gesundheitssystems wird. Derzeit ist medizinisches Cannabis dort eine Parallelwelt, die vom restlichen Gesundheitssystem abgekoppelt ist und deren Therapiekosten immer vom Patienten selbst getragen werden müssen. Nach einer Änderung der Regularien sieht es aber nicht aus, da die Regierung Trudeau wenig auf die anachronistische Haltung des INCB gegenüber Cannabis gibt. Denn obwohl die Rüge für die Legalisierung von Cannabis zum Freizeitkonsum noch viel umfassender als die INCB-Kritilk für das medizinische Programm war, hat die kanadische Regierung nicht vor, ihre Cannabis-Politik zu ändern. Kanada hält es wie einst Uruguay. Man sitzt die Kritik aus und die Staatengemeinschaft verzichtet auf weitere Konsequenzen.

Cannabis-Gegner aus der Regierungskoalition hingegen führen UNO und INCB immer wieder gerne ins Feld, wenn es darum geht, dass eine wie auch immer geartete Regulierung von Cannabis internationale Abkommen verletze. Statt die INCB-Kritik am medizinischen Cannabis-Programm Kanadas zu prüfen und eine eigene Lösung für medizinisches Cannabis auszuarbeiten, die sowohl die Regelversorgung absichert als auch im Einklang mit internationalen Verträgen steht, wird sie einfach ignoriert.

Importnation Deutschland oder die Angst vorm Cannabusiness

Wären BfArM und die ihm unterstellte Cannabisagentur konsequent, müsste sie die Produktionsmengen im Land deutlich erhöhen, so dass Deutschland seine Patienten alsbald selbst versorgen kann. Damit beträfen eventuelle INCB-Rügen, Fehler in den Regularien oder Versorgungsengpässe anderer Länder die Patienten im eigenen Land nicht mehr. Zudem würden die enorm hohen Therapiekosten, die nicht unwesentlich auf die lange Transport- und Handelskette zurückzuführen sind, gesenkt.

Aber Deutschland scheint kein Interesse an der Entstehung einer nationalen Cannabis-Branche zu haben – im Gegenteil. So wurden bei der Ausschreibung zum Anbau für medizinisches Cannabis im Mai ausschließlich kanadische Firmen berücksichtigt. Zudem ist jetzt schon klar, dass die zum Anbau in Deutschland genehmigten Mengen längst nicht ausreichen. Obwohl das bereits seit 2017 absehbar ist, wurde die Anbaumenge bis heute nicht nach oben korrigiert. Das Importkontingent aus Kanada und den Niederlanden hingegen wird regelmäßig erhöht, da der Bedarf von medizinischem Cannabis stetig steigt. In diesem Zusammenhang muss man auch immer wieder daran erinnern, dass die Bundesrepublik Deutschland das Gesetz zur Verwendung von medizinischem Cannabis nicht freiwillig, sondern sehr widerwillig und erst nach 15-jährigen Rechtsstreitigkeiten mit Patienten eingeführt hat, nachdem man in höchster Instanz unterlegen war. Drei Jahre nach der Niederlage scheint es, als ob man in Deutschland alles dafür tut, so wenig Cannabis wie möglich selbst produzieren zu müssen, um so die Entstehung einer starken deutschen Cannabis-Industrie zu verhindern.

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