Streit um die Geringe Menge: Warum Daniela Ludwig scheitern wird

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Die neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU)

Hatte es vor ein paar Monaten noch ausgesehen, als ob die neue Drogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) auf die Millionen Cannabis-Konsumenten in Deutschland zugehen würde, ist nach ihren jüngsten Äußerungen Skepsis angesagt. Denn der Ankündigung beim Redaktionsnetzwerk Deutschland  „Es gibt kaum Dialog, aber viel Konfrontation. Damit möchte ich Schluss machen“ folgten, mit Ausnahme einiger informeller Treffen mit dem DHV und anderen reformorientierten Organisationen, bislang lediglich Absichtserklärungen, die sich von denen ihrer Vorgängerinnen Marion Caspers-Merk (SPD), Sabine Lichtenthaler-Bätzing (SPD), Mechthild Dyckmans (FDP) oder auch Marlene Mortler (CSU) in keiner Silbe unterscheiden.

Der anfängliche Schwung ist weg

Schaut man sich Ludwigs Äußerungen zu Cannabis seit ihrem Amtsantritt an, scheint es fast, als rudere Ludwig immer weiter zurück. Hatte sie anfangs noch von einer Herabstufung des Besitzes Geringer Mengen zu einer Ordnungswidrigkeit geredet, geht es derzeit vor allem um eine bundeseinheitliche Geringe Menge, bis zu der Strafverfahren eingestellt werden können.

Doch ihr jüngster Vorstoß zur bundesweiten Vereinheitlichung der Geringen Menge gehört seit 17 Jahren immer wieder mal zum dringlichsten Aktionsplan einer Drogenbeauftragten im ersten Amtsjahr. Auch Marion Caspers Merk (2005) und Mechthild Dyckmans (2011) versprachen zum Amtsantritt, die Regelung zur Geringen Menge bundesweit zu vereinheitlichen. Dabei wollte man sich damals wie heute nicht an den liberalen Regelungen Berlins oder Bremens orientieren, sondern an denen der repressiveren Bundesländer wie Bayern. Doch dieser Plan war und ist zum Scheitern verurteilt, weil Bundesländer mit einer liberalen Regelung der Geringen Menge nicht bereit sind, hier Rückschritte zu machen – im Gegenteil. In Berlin oder Bremen warten die Wähler auf Cannabis-Modellprojekte, nicht auf weniger Toleranz.

Eben jenes Dilemma haben auch zahlreiche Anläufe der Justizministerkonferenzen aufgezeigt. Hier versuchen die Justizminister der Bundesländer seit fast 20 Jahren vergeblich, eine Einigung zu erzielen und scheitern immer wieder am mangelnden Konsens. Den hierzu notwendigen, politischen Prozess ins Rollen zu bringen, ist für eine Drogenbeauftragte, egal ob Caspers-Merk, Dyckmans oder Ludwig, eine Nummer zu groß, wie die jüngere Geschichte gezeigt hat. 

Die mangelnde Kompromissbereitschaft der Union ist Ursache für den Stillstand

Die Festlegung der Geringen Menge ist ohnehin der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich vor knapp 25 Jahren einigen konnte. Mit einer echten Entkriminalisierung hat das wenig zu tun. Ertappte werden weiterhin strafrechtlich verfolgt, als Drogenkonsumenten gespeichert und müssen seit den 1990er Jahren statt mit strafrechtlichen heutzutage mit zivil- oder verkehrsrechtlichen Konsequenzen wie Führerschein- oder Sorgerechtsentzug rechnen. Möchte Frau Ludwig die Angleichung der Geringen Menge  wie ihre Vorgängerinnen nicht nur als PR-Kampagne zum Amtsantritt nutzen, sondern das Vorhaben wirklich durchsetzen, muss sie der Cannabis-Community und ihren politischen Fürsprechern etwas Konkretes im Tausch anbieten. Die Herabstufung der „Geringe-Menge-Vergehen“ zur Ordnungswidrigkeit ähnlich wie in der Schweiz oder noch besser die Abschaffung aller Sanktionen bei solchen Bagatelldelikten wären solche Angebote. Ein anderer wäre, ein paar Hanfpflanzen zum Eigenbedarf in die Geringe Menge Regelung miteinzubeziehen, so wie es in der Tschechischen Republik der Fall ist.

Dass eine Umstufung zur Ordnungswidrigkeit kein wirklicher Fortschritt, sondern eher ein Schritt zur Seite ist, zeigt sich an den möglichen Auswirkungen: Zwar wäre dies ein Vorteil insbesondere für Menschen, die durch ein Strafverfahren etwas zu verlieren haben, auch wenn es eingestellt wird. Allerdings kostet ein eingestelltes Strafverfahren erstmal nichts, ein Bußgeld müsste auf jeden Fall bezahlt werden. Für Menschen, die durch ein eingestelltes Strafverfahren nichts zu verlieren und wenig Geld haben, wäre die Herabsetzung zur Ordnungswidrigkeit eine Verschärfung der Strafe und somit unter dem Strich eine sozial nicht ausgewogene Entkriminalisierung, die ihren Namen nicht verdient. Außerdem würden regionale Unterschiede wahrscheinlich noch größer: Da die Polizei eine Ordnungswidrigkeit im Gegensatz zu einer Straftat nicht verfolgen muss, würde in Berlin möglicherweise gar nicht mehr wegen Cannabis kontrolliert, in Bayern wäre die Polizei wahrscheinlich motivierter als zuvor.

Derzeit sieht es jedoch so aus, als wolle sich Frau Ludwig vorrangig mit den Vereinheitlichung der Geringen Menge beschäftigen, während deren Besitz weiterhin als Straftat verfolgt wird, um dann mit oder ohne Geldstrafe eingestellt (Thüringen, Berlin, Bremen, BaWü, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Hamburg, Saarland, Hessen, Schleswig-Holstein) oder auch nur vielleicht eingestellt (Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Bayern, NRW, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Sachsen) zu werden. Was bleibt, ist die Fortsetzung einer Cannabis-Politik, die Ludwig selbst als reformbedürftig betrachtet.

Würde die Drogenbeauftragte wirklich ernsthaft etwas ändern wollen, müsste die Umsetzung wie in der Schweiz stattfinden: Der Besitz Geringer Mengen wird zur Ordnungswidrigkeit mit einem geringen Bußgeld herabgestuft, um im gleichen Atemzuge eine bundeseinheitliche Menge im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu verankern. Doch von einer Änderung des BtMG ist bislang keine Rede, denn das wäre wohl in der Union nicht mehrheitsfähig.

Zum Scheitern verurteilt

Ludwigs Ankündigungen lassen vermuten, dass sie die Angleichung über eine Vereinheitlichung der Cannabis-Verwaltungsverordnungen einzelner Bundesländer durchsetzen möchte, ohne die Konsumenten durch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes wirklich zu entkriminalisieren. Das ist weder neu noch zeugt es von ihrer anfänglichen Absicht, die verhärteten Fronten von Cannabis-Gegnern und Befürwortern aufzuweichen. Zudem werden die Justizminister eben jener Bundesländer, die seit Jahren eine Liberalisierung der Cannabis-Politik fordern, diesen Vorschlag nicht ohne Gegenleistung unterstützen. Für solch eine Gegenleistung, die es dafür bedürfte, scheint man bei der CDU/CSU bislang nicht bereit. Konkrete Gesetzesvorhaben, die eine echte Entkriminalisierung vorsehen, sind in der Union derzeit noch nicht mehrheitsfähig – selbst wenn sie von einer CSU-Drogenbeauftragten unterstützt würden. So beschränkt man sich auch diesmal, wie in all den Jahren davor, auf die Ankündigung einer bundesweiten Vereinheitlichung, die im Bundesrat in den SPD, FDP und Grün regierten Ländern zum wiederholten Mal scheitern wird.

Ludwig zeigt sich genervt

Im Rahmen eines Treffens mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigte sich Ludwig offensichtlich genervt vom Gegenwind, den ihre jüngsten Äußerungen zur Cannabis-Poltik in den Sozialen Medien verursacht:

„Ich poste auf allen meinen Social Media Accounts nicht nur als Drogenbeauftragte, sondern bin als Bundestagsabgeordnete auch die Stimme meiner Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis. Deshalb gebietet es der gegenseitige Respekt, dass Ihr es auch aushaltet, wenn ich mich partei-, wahlkreis- und themenpolitisch äußere,“

zitiert OVB-Online die Drogenbeauftragte. Auf dem selben Treffen bestätigte Ludwig noch einmal, dass sie nicht plane, die Geringe Menge auf Bundesebene im Rahmen der geplanten Vereinheitlichung auf Berliner oder auch nur Bremer Niveau anzuheben. 

Ausser Berlin wollten alle anderen Bundesländer sechs Gramm und das wäre auch richtig gewesen!

twittert die Drogenbeauftragte am 17.12.2019.

Als Vollblutpolitkern weiß Daniela Ludwig, dass in der großen Politik das Prinzip „Quid pro Quo“ gilt. Will man also ein Problem mit verhärteten Fronten lösen, bietet man dem politischen Gegner etwas an, um so auch sein Ziel zu erreichen. Daniela Ludwig kennt die Spielregeln ganz genau und nimmt ein erneutes Scheitern in Sachen Geringe Menge lieber in Kauf, anstatt ihre Partei zu einem Konsens zu drängen.

Hätte sich Daniela Ludwig die Historie ihrer Vorgängerinnen in Sachen Vereinheitlichung der Geringen Menge genau angeschaut, müsste ihr klar sein, dass ihre Taktik, einzelne Bundesländer öffentlich unter Druck zu setzen, immer wieder gescheitert ist. Stattdessen wandelt sie in den Fußstapfen ihrer Amtsvorgängerinnen und wird aufgrund mangelnder Kompromissbereitschaft an einer zeitgemäßen und juristisch einwandfreien Regelung zum Besitz und Konsum Geringer Mengen Cannabis scheitern.

Augen zu und durch

Ludwig wusste von Anfang an, dass das Thema Cannabis derzeit wie kein anderes polarisiert. Genau deshalb hatte sie zu Amtsantritt Dialogbereitschaft angekündigt, ist aber in der Sache nicht kompromissbereit. Die Drogenbeauftragte hat einen zeitgemäßeren Social Media Auftritt als ihre Vorgängerinnen, jedoch keine eigenen oder zeitgemäßen Ideen zur Neugestaltung der Cannabis-Politik. Genau das hatten viele Millionen Cannabis-Konsumenten nach ihren Worten zum Amtsantritt jedoch erwartet. Wen wundert es, dass die ihre Stimme jetzt lauter erheben als die 230.531 Wahlberechtigten in ihrem Wahlkreis?

Bezeichnete die ehemalige Amtsinhaberin den DHV-Gründer Georg Wurth einst noch als „Zocker und Spieler“, wirft Ludwig ihren cannabispolitischen Gegnern nun fehlende Netiquette vor. Egal ob Zocker, Spieler oder fehlende Netiquette: eine sachliche Auseinandersetzung mit den überwiegend sachlich und faktenbasierten Kommentaren der Community ist nicht zu erkennen – ein Neustart sieht wahrlich anders aus.

Statt über die Verrohung Sozialer Medien zu jammern, die sicher kein cannabisspezifisches Problem ist, sollte die CSU-Abgeordnete eine Sache verstehen: Sie hat beim Amtsantritt Erwartungen bei der Cannabis-Community geweckt, die sie bislang nicht einmal ansatzweise erfüllt hat. Wäre sie von Anfang an so ehrlich gewesen zu gestehen, die Cannabis-Politik ihrer Amtsvorgängerinnen anders verpackt fortsetzen zu wollen, gäbe es sicher weniger Kommentare enttäuschter User. 

Auch Ehrlichkeit und Transparenz sind ein Teil politischer Netiquette. Dazu gehört eben auch zuzugeben, anfangs nicht damit gerechnet zu haben, dass zum Beispiel eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit in der eigenen Partei derzeit nicht durchsetzbar ist.

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