Im Bayerischen Landtag soll voraussichtlich am 15. Mai über das neu formulierte Polizeiaufgabengesetz (PAG) entschieden werden. Aufgrund der bestehenden absoluten Mehrheit der CSU ist eine Verabschiedung dieses Gesetzes zu erwarten, es sind jedoch bereits mehrere Klagen wegen Verstoßes gegen die Verfassung angekündigt oder bereits eingereicht worden. Die Münchener DHV-Ortsgruppe hat sich deshalb dem breiten zivilgesellschaftlichen „Bündnis No PAG“ angeschlossen, welches am 10.05. in München eine Großdemo gegen das Gesetz veranstaltet.
Aber was genau kommt da auf die Bewohner Bayerns – und mit Horst Seehofer als neuem Innenminister – vielleicht auch auf andere Bundesländer zu? Die Mitglieder der DHV-Ortsgruppe München haben sich das Gesetz genauer angeschaut.
Mit dem Polizeiaufgabengesetz werden die weitreichenden Befugnisse der bayerischen Polizei signifikant erweitert. Juristische Sachverständige, Datenschützer und Oppositionsparteien sehen hierin einen massiven Eingriff in die Verfassungsrechte der Bürger, da das neue Gesetz die umfassendsten polizeilichen Eingriffs- und Kontrollrechte seit Bestehen der Bundesrepublik mit sich bringt. Diverse Kritiker sehen hier die schärfste und weitreichendste Einschränkung von Grundrechten seit 1945. Auf den Punkt bringt es Hartmut Wächtler, der Gutachter zum Polizeiaufgabengesetz, in der Sendung Monitor: „Dass das in einem demokratischen Staat möglich ist, hätte ich nie geglaubt.“
Die wahrscheinlich schwerwiegendste Veränderung ist die Erweiterung der präventiven Kompetenzen. So dürfen laut aktueller Gesetzeslage viele Maßnahmen zur Strafverfolgung nur mit einem entsprechenden richterlichen Beschluss zur Anwendung kommen. Eine Ausnahmeregelung greift hier nur, wenn „konkrete Gefahr“ besteht. Diese Einschreitschwelle wird durch das neue Gesetz drastisch gesenkt. Während die „konkrete Gefahr“ klar und objektiv definiert ist, handelt es sich bei dem Begriff „drohender Gefahr“ um eine eher schwammige Formulierung ohne erkennbare Abgrenzung. Allein die subjektive Einschätzung der jeweiligen Beamten ist maßgebend. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit kann und wird zu Willkür in der Anwendung führen.
Ergänzend soll die Exekutive mit weitreichenden Befugnissen, welche im Rahmen der Prävention zum Einsatz kommen können, ausgestattet werden. Es ist zu befürchten, dass das bereits unverhältnismäßig starke Vorgehen der Polizei gegen Cannabiskonsumenten zusätzlich enorm verschärft wird. Dies bedeutet letztendlich weitere unzumutbare Einschnitte in die Freiheitsrechte von Cannabiskonsumenten, -aktivisten und insbesondere Cannabispatienten!
Folgende Einzelbefugnisse greifen u.a. mit besonderer Schwere:
1. Aufenthalts Ver-/Gebote
D.h. die Polizei kann dem Bürger verbieten, bestimmte Örtlichkeiten zu besuchen bzw. sich dort aufzuhalten. Dies bedeutet z.B. das Cannabisaktivisten von Demonstrationen, Kundgebungen und ähnlichem ausgeschlossen werden können. Diese Maßnahme beinhaltet aber auch, dass die Bürger ihre Wohnung nicht mehr verlassen dürfen und quasi unter Hausarrest gestellt werden. Patienten, die mit einer solchen Maßnahme belegt werden, hätten keine Möglichkeit, ihr medizinisches Cannabis aus der Apotheke zu erhalten. Besonders schwer wiegt, dass für diese Maßnahmen kein richterlicher Beschluss mehr notwendig ist. Betroffene müssten sofort reagieren und/oder selbst eine entsprechende zeit- und kostenintensive Klage einreichen.
2. Vorbeugende Haft
Diese kann bisher für maximal zwei Wochen und nur bei konkreter Gefahr angeordnet werden. In jedem Fall ist eine richterliche Anhörung notwendig. Nach neuer Gesetzeslage kann ein Gewahrsam auch ohne richterliche Anordnung für bis zu drei Monate angesetzt werden. Nach Ablauf dieser drei Monate kann die Haft jedoch ohne zeitliche Einschränkung und Begrenzung für weitere drei Monate verlängert werden.
Beispielsweise könnte die Polizei einen Patienten, bei dem Cannabis sichergestellt wurde, ohne richterlichen Beschluss für mehrere Monate inhaftieren. Allein die Annahme, ein Rezept sei gefälscht (bereits mehrfach bei Personenkontrollen von Cannabispatienten in München passiert) und/ oder das sichergestellte Cannabis sei zum Weiterverkauf bestimmt, wäre dann eine ausreichende Begründung. Eine Haftaufhebung soll erst nach Beweis der Unschuld erfolgen, was aus der Haft heraus bekanntlich schwierig sein dürfte. Dies widerspricht auch dem obersten Grundsatz unserer Rechtsstaatlichkeit, der Unschuldsvermutung.
3. Ausweitung verdachtsunabhängiger Kontrollen und präventive Überwachung
So kann die bayerische Polizei zukünftig Leibesvisitationen, Wohnungsdurchsuchungen und Abhörmaßnahmen wie die Verwanzung der Wohnung durchführen, ohne dass tatsächlich eine konkrete Gefährdung durch den Bürger nachgewiesen werden muss. Alleine ein unbegründeter Verdacht genügt. Demonstrationen und ähnliche öffentliche Veranstaltungen – auch genehmigte – können außerdem mit Bodycams, Drohnen und Gesichtserkennungssoftware überwacht werden. Aufgrund der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit und der Furcht vor Repressalien wegen „verdächtigem“ Verhalten, wird die Bereitschaft der Bürger zur Meinungsäußerung und (politischem) Engagement, gerade für kontroverse Themen wie die Legalisierung von Cannabis, nachhaltig beeinflusst. Man möchte dann um jeden Preis vermeiden, „unangenehm aufzufallen“. Es ist nicht auszuschließen, dass alleine die Gesichtserkennung bei einer Demo bereits als Verdacht interpretiert wird, der zu vielfachen Hausdurchsuchungen führt.
4. Überwachung und Eingriff in informationstechnische Systeme
Ist von einer drohenden Gefahr auszugehen, darf die Polizei mit dem neuen PAG präventiv auf diverse elektronische Daten zugreifen. Sie darf die Post beschlagnahmen und öffnen, – auch höchstprivate – Kommunikation (z. B. über auch Facebook, Whatsapp, Emails, SMS & Co.) mitlesen, Onlinedurchsuchung der Privatcomputer mittels Spionagesoftware („Staatstrojaner“) durchführen und sogar Daten aus einer Cloud auslesen. Dritte (insbesondere die Softwarefirmen und Dienstanbieter) sind verpflichtet, bei der Entschlüsselung von Daten zu helfen. Telekommunikationsverbindungen dürfen gezielt durch die Polizei gestört oder unterbrochen werden. In Einzelfällen dürfen bestehende Daten sogar gelöscht oder manipuliert werden. Das Fälschen und Zerstören von Beweismitteln wäre damit ein leichtes. Des Weiteren darf die persönliche DNA analysiert und gespeichert werden. Und das alles wohlgemerkt obwohl man sich nie was zu Schulden kommen lassen hat.
Die Polizei wird somit nicht nur zur Überwachungsbehörde mit Geheimdienstbefugnissen ausgebaut, sie erhält auch Handgranaten und Befugnisse, wie es sie seit 1945 hierzulande nicht gab. Die Missbrauchsgefahr dieses Gesetzes ist enorm. Unliebsame Menschen könnten als „Gefährder“ eingestuft und somit unbegrenzt inhaftiert werden, auch wenn sie nie jemanden etwas getan haben. Wenn es gegen (z. B. politische) Gruppierungen geht, darf die Polizei dann ohne richterlichen Beschluss bei Familien und Freunden V-Leute werben und verdeckte Ermittler mit falschen Identitäten einsetzen.
Das PAG ist ein massiver Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht mit weitgehenden Einschränkungen unseres Grundrechts auf Privatsphäre.Es ist eines demokratischen Rechtsstaats nicht würdig und eine Gefahr für unser aller Freiheit.
-Ein Artikel der Münchener DHV-Ortsgruppe-
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