Am 20. März 2019 fand im Gesundheitsausschuss des Bundestages eine Anhörung zum Thema Cannabis als Medizin statt. Im Video dokumentieren wir fünf Fragen von vier Fraktionen an DHV-Geschäftsführer Georg Wurth und seine Antworten sowie im Text die vollständige Stellungnahme des DHV zur Anhörung.
Inhaltlich ging es um zwei Anträge von Grünen und Linken zur Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts der Krankenkassen, damit wie ursprünglich geplant die Ärzte die Therapiehoheit haben und nicht die Krankenkassen letztlich die Entscheidung fällen, ob ein Patient mit Cannabis therapiert werden kann oder nicht. Die FDP legt mit einem Antrag die Fokus auf das wirtschaftliche Potential der medizinischen Cannabisbranche für Deutschland. Die AfD möchte die Zulassung von Cannabispräparaten an Arzneimittelstudien knüpfen und ein spezielles Verfahren zur Nutzenbewertung und Preisfindung anwenden.
Über die Anträge wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.
- bundestag.de: 20.03.2019: Anhörung Cannabis Medizin – vollständiger Video-Mitschnitt der Anhörung und Zusammenfassung von bundestag.de
- Bundestag.de: 20.03.2019: Anhörung Cannabis Medizin – Anträge, Sachverständige, Stellungnahmen
- Hier findest du alle Videos der DHV-Playlist „Georg Wurth im Deutschen Bundestag“
Hier nun die vollständige Stellungnahme, die DHV-Geschäftsführer Georg Wurth für den DHV zur Anhörung eingereicht hat und die der Bundestag hier auch als pdf-Dokument zur Verfügung stellt:
Stellungnahme des Deutschen Hanfverbands (DHV) zur Öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages am 20.03.2019 zum Thema “Medizinisches Cannabis” und den Anträgen:
Antrag der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Medizinalcannabis-Anbau zum Export ermöglichen
BT-Drucksache 19/4835
Gesetzentwurf der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung des Genehmigungsvorbehalts der Krankenkassen bei der Verordnung von Cannabis
BT-Drucksache 19/6196
Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Erleichterte Verordnung von medizinischem Cannabis für Patientinnen und Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung
BT-Drucksache 19/5862
Antrag der Abgeordneten Dr. Axel Gehrke, Detlev Spangenberg, Paul Viktor Podolay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD
Medizinalcannabis auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen – Verfahren im Arzneimittelmarktneuordungsgesetz zur Nutzenbewertung und Preisfindung anwenden, Anwendungssicherheit verbessern und Krankenkassen entlasten
BT-Drucksache 19/8278
Vorbemerkung
Der Deutsche Hanfverband beschäftigt sich mit Hanf als Genussmittel, Biorohstoff und Medizin. Cannabispatienten zählen ebenso zu den Unterstützern des DHV wie Angehörige von Erkrankten, die Cannabis als Medizin nutzen.
Weiterhin gehen zum Thema Cannabis-Medizin täglich Anfragen und Fallberichte beim
DHV ein. Wir beschäftigen uns intensiv mit der Entwicklung in Politik und Forschung zu
Cannabis als Medizin weltweit.
Fachliche Bewertung
2018 wurden rund 142.000 Kassenrezepte ausgestellt. Der Deutsche Hanfverband (DHV) geht aktuell von 50-60.000 Privat- und Kassenpatienten aus. Vor dem 10.03.2017 (Inkrafttreten des Gesetzes Cannabis als Medizin) hatten ca. 1.000 Patienten per Ausnahmegenehmigung Zugang zu Hanfblüten aus der Apotheke. Auch Fertig- und Rezepturarzneimittel wurden schon davor an einige tausend Patienten verschrieben. Insgesamt hat sich die Zahl der Patienten, die von einer Cannabis-Verschreibung profitieren, in den letzten zwei Jahren ungefähr verzehnfacht. Diese Entwicklung schätzt der DHV als grundsätzlich positiv ein, da einer wachsenden Zahl an Patientinnen und Patienten mit Cannabis als Medizin geholfen werden werden kann. Allerdings könnte noch sehr viel mehr Menschen geholfen werden, wenn das Gesetz nicht diverse Probleme mit sich bringen würde.
Probleme und Hemmnisse
1. Ärzte sind zurückhaltend bei der Verschreibung
Ärzte sind nach wie vor zurückhaltend bei der Verordnung von Cannabis aufgrund der hohen Hürden bei der Genehmigung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen, wegen des hohen Aufwands bei der wissenschaftlichen Begleiterhebung oder einfach aus Unwissenheit.
Die verstärkte Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten, sowie begleitende und aufklärende Materialien zum Medizinalcannabis wären wünschenswert.
Ein Abbau bürokratischer Hemmnisse, wie sie konkret in den Gesetzentwürfen von Linken und Grünen vorgesehen sind, ist erforderlich.
2. Krankenkassen lehnen viele Kostenerstattungsanträge ab
Etwa ein Drittel der Anträge auf Kostenerstattung wird von den gesetzlichen Krankenkassen abgelehnt. Das führt zu einer Einengung der Verschreibungen auf Indikationen, bei denen die Erstattung wahrscheinlicher ist, z.B. bei Schmerzen. Die große Bandbreite der möglichen medizinischen Verwendung von Cannabis wird dadurch nicht ausgeschöpft. Außerdem wird so die gesetzlich vorgesehene Entscheidungshoheit der Ärzte auf die Krankenkassen verlagert.
Wir unterstützen daher die politische Initiativen von Grünen und Linken zur Streichung des Genehmigungsvorbehalts der Krankenkassen aus dem SGB V.
3. Lieferengpässe bei Medizinalcannabis
Insbesondere bei Hanfblüten gibt es erhebliche Lieferengpässe. Patienten, die teilweise nach langer Odyssee endlich ein Rezept in Händen haben, bekommen ihre Medizin in den Apotheken nicht und leiden unnötig an ihren Beschwerden.Weiterhin fehlende Lizenzen zum Anbau von Medizinalcannabis in Deutschland und Lieferschwierigkeiten kanadischer Anbieter nach der dortigen Legalisierung von Cannabis als Genussmittel haben dieses Phänomen verstärkt.
Der Aufbau eines eigenen Marktes für Medizinalcannabis ist daher zu begrüßen. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass in den kommenden Jahren mit weiter steigenden Zahlen inländischer Cannabispatienten zu rechnen ist. Die derzeit vorgesehene Menge von 2,6 Tonnen pro Jahr für den deutschen Markt ab 2020/21 ist zu gering angesetzt. Diese Menge haben deutsche Patienten schon 2018 verbraucht. Der DHV geht davon aus, dass ca. 800.000 Patienten in Deutschland von Cannabis profitieren und die Einnahme anderer Medikamente reduzieren könnten.
Initiativen wie die der FDP zum Aufbau eines gesättigten Marktes für Medizinalcannabis in Deutschland mit der Chance auf Export von Überschüssen in andere Importnationen sind daher zu begrüßen.
In Kanada und den vielen US-Staaten dürfen Patienten ihr Cannabis im Übrigen selbst anbauen.
4. Extrem hohe Apothekenpreise
Hanfblüten werden in Deutschland zu extrem hohen Preisen in Apotheken abgegeben. Exakt die gleichen Hanfblüten werden z.B. in den Niederlanden zu einem Drittel des deutschen Preises abgegeben. Das ist eine unnötige Belastung für Krankenkassen und Privatpatienten sowie auch für Apotheker, da diese durch die allgemeinen Regelungen der Arzneimittelpreisverordnung gezwungen sind, überflüssige Überprüfungen jeder einzelnen Charge durchzuführen. Sie prüfen allerdings nur, ob es sich um Hanfblüten handelt und ob THC und CBD vorhanden sind, eine umfassende Qualitätskontrolle wird nicht durchgeführt. Dementsprechend ist kein einziger Fall bekannt geworden, bei dem diese Überprüfungen in den Apotheken zu einer Beanstandung geführt haben.
Da die Ware jeweils schon die Kontrollen durch die Cannabisagenturen des exportierenden Landes durchlaufen hat, schlagen wir vor, Regelungen zu finden, mit denen Hanfblüten in Bezug auf die Preisbildung analog zu Fertigarzneimitteln behandelt werden und damit die Preise in Deutschland dem internationalen Niveau angeglichen werden können.
5. Forschung
Es ist ein grundsätzliches Problem für alle natürlichen Arzneimittel, dass Pharmaforschung fast vollständig den Unternehmen überlassen wird. Die für die Zulassung von Arzneimitteln üblichen Studien sind sehr umfangreich und teuer, so dass die Unternehmen diese Investitionen in der Regel nur dann tätigen, wenn sie das entsprechende Medikament patentieren können und sich die Forschungskosten durch die entsprechend hohen Preise für ein patentiertes Produkt amortisieren. Diese Systematik funktioniert nicht bei natürlichen Produkten.
Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass es kaum entsprechende Zulassungsstudien für medizinisches Cannabis gibt, obwohl sehr viele kleinere Studien und Fallbeispiele sowie positive Rückmeldungen von Patienten gute Ergebnisse für ein breites Anwendungsspektrum zeigen.
Das besonders große Anwendungsspektrum in Kombination mit der jeweils am besten geeigneten Cannabissorte mit jeweils unterschiedlichen Wirkstoffzusammensetzungen erschweren die
üblichen Zulassungsstudien zusätzlich. Das BfArM hat vor Inkrafttreten des “Cannabis-als-Medizin-Gesetzes” für über 50 verschiedene Indikationen Ausnahmegenehmigungen erteilt. Nach den üblichen Verfahren müssten für jede Cannabissorte in Kombination mit jeder Indikation eine eigene Zulassungsstudie erstellt werden. Wir gehen davon aus, dass es solche Studien zukünftig in Einzelfällen geben wird. Dies aber für das gesamte Anwendungsspektrum vorauszusetzen ist nicht realistisch und würde sofort zu einer Krise in der Versorgung aktuell zehntausender Patienten führen.
Die Anforderungen einer Nutzenbewertung nach dem AMNOG-Verfahren sind ähnlich wie bei einer Arzneimittelzulassung. Deshalb ist der Antrag der AfD aus Sicht des DHV nicht zielführend.
Vielmehr wären öffentlich geförderte Studien in unabhängigen Kliniken sinnvoll.
Deutschland verpasst wirtschaftliches Potential
Cannabis als Medizin hilft nicht nur vielen Patienten, es hat auch ein erhebliches wirtschaftliches Potential. In den USA, Kanada und Israel sind bereits tausende Arbeitsplätze und große Unternehmen rund um den Anbau von medizinischem Cannabis entstanden.
Als Deutschland 2017 medizinisches Cannabis zuließ, waren das zunächst sehr gute Voraussetzungen dafür, dass nicht nur Patienten, sondern auch der Wirtschaftsstandort Deutschland davon profitieren könnte. Es sah so aus, als würde Deutschland zum zentralen europäischen Standort für Unternehmen werden, die sich mit medizinischem Cannabis befassen. Als klar wurde, wie klein die in Deutschland zur Produktion ausgeschriebene Menge war, wie zäh die Lizenzvergabe für den Anbau in Deutschland werden würde und dann sogar das erste Ausschreibungsverfahren scheiterte, haben internationale und auch deutsche Firmen zunehmend auf andere Standorte gesetzt. Zur Zeit werden erhebliche Produktionskapazitäten in Dänemark, Griechenland, Portugal und einigen anderen europäischen Ländern aufgebaut, während Deutschland als größter Absatzmarkt in Europa zur Verfügung steht. All diese Länder haben es erheblich schneller geschafft, von der Entwicklung auch wirtschaftlich zu profitieren, während in Deutschland zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes immer noch keine Lizenz vergeben wurde. Deutschland ist dabei, eine weitere Zukunftsbranche zu verschlafen!
Insofern begrüßen wir auch den Ansatz der FDP, das Thema auch unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten ernst zu nehmen.
Dabei sollten auch kleinere Unternehmen eine Chance als Marktteilnehmer erhalten. Die mittlerweile Milliardenschweren Cannabis-Aktiengesellschaften in Nordamerika waren vor einigen Jahren auch noch Start-Ups!
Blüten, THC, Fertigarzneimittel – Welches ist das richtige Medikament?
Mit steigenden Umsätzen verschärft sich die Diskussion um die unterschiedlichen Produktgruppen. Hersteller der einen Produktgruppe machen Stimmung gegen die andere und auch Ärzte- und Apothekerverbände beteiligen sich rege daran.
Der Deutsche Hanfverband vertritt grundsätzlich die Position, dass alle genannten Produktgruppen ihre Berechtigung haben. Für viele Patienten ist die orale Aufnahme von Tropfen oder Tabletten eine angemessene Behandlungsform, manchen kann mit isoliertem THC (Dronabinol) oder auch CBD geholfen werden.
Nach hunderten Gesprächen mit Patienten stellen wir aber fest, dass die Gabe einer Monosubstanz vielen Patienten eben nicht so gut hilft oder weniger gut bekommt als die Kombination mehrerer Cannabinoide und Terpene, wie sie in natürlichen Hanfblüten vorkommen. Für die große Bandbreite an Krankheiten, bei denen Cannabis eingesetzt werden kann, ist jeweils eine unterschiedliche Sorte mit unterschiedlicher Zusammensetzung dieser Wirkstoffe am besten geeignet. Deshalb helfen Extrakte oder Blüten vielen Patienten besser als ein einzelner Wirkstoff. Solange nicht diverse Extrakte mit unterschiedlicher Zusammensetzung verfügbar sind, bieten nur die zahlreichen Blütensorten eine ausreichende Auswahl, um die optimale Therapie zu erreichen.
Die orale Einnahme von Sprays, Tropfen und Tabletten ist eine gute Option, wenn ein gleichmäßiger Wirkstoffpegel über den ganzen Tag erreicht werden soll. Die Inhalation der Wirkstoffe aus Cannabisblüten per Verdampfungsgerät ist dagegen das Mittel der Wahl, wenn ein schneller Wirkungseintritt erzielt werden soll, z.B. bei akuten Schmerzspitzen. Durch den schnellen Wirkungseintritt ist die notwendige Menge gut steuerbar. Aber auch mit den Blüten kann ein konstanter Pegel gehalten werden, wenn mehrfach täglich nach vorgegebenem Dosierungsplan inhaliert wird.
Die Blüten sind außerdem trotz der extrem hohen Preise in deutschen Apotheken die bei Weitem preiswerteste Variante. Dies sei insbesondere ausdrücklich erwähnt, weil das von interessierten Unternehmen und teilweise auch Krankenkassenvertretern anders dargestellt wird. Sie vergleichen die (unterschiedlichen!) verschreibbaren Höchstmengen für Blüten und Dronabinol oder die durchschnittlichen Kosten der jeweiligen Patientengruppen. Bezogen auf den THC-Gehalt sind die Blüten allerdings sehr viel preiswerter als die verfügbaren Fertig- und Rezepturarzneimittel.
(Grafik
Quelle: Hanfverband, 2018)
Insgesamt lässt sich von Seiten des DHV feststellen, dass das “Cannabis als Medizin”-Gesetz ein wichtiger und richtiger Schritt in der Medizingeschichte Deutschlands war. Aus anderen europäischen Ländern wissen wir, das dieser Impuls aus Deutschland als Blaupause für eigene Regelungen diente und dient. Nun ist es aus unserer Sicht richtig und notwendig, die Kinderkrankheiten zu kurieren und sinnvolle Korrekturen zum Wohle der Patienten und der Solidargemeinschaft zuzulassen. Hierzu gehört auch ein eigenständiger, exportfähiger, aber nicht überregulierter deutscher Markt für Medizinalcannabis.
Georg Wurth
Geschäftsführer
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