Nachbesserungen bei Cannabis als Medizin gefordert

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Ein Bündnis aus Ärzten und Wissenschaftlern fordert mit Unterstützung der drogenpolitischen Sprecher von SPD, GRÜNE, LINKE und FDP leichteren Zugang zu Cannabis als Medizin. In einem gemeinsamen Positionspapier begründen Prof. Dr. Heino Stöver, Dr. Franjo Grotenhermen, Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl und Dr. Ingo Ilja Michels dringend benötigte Korrekturen, die sich aus der Einführung des Gesetzes zu Cannabis als Medizin vor vier Jahren ergeben. Unterstützung für die Reformforderungen kommt aus der Politik von Burkhard Blienert (SPD), Kirsten-Kappert Gonther (GRÜNE), Dirk Heidenblut (SPD), Niema Movassat (DIE LINKE) und Wieland Schinnenburg (FDP), aber auch Dr. Knud Gastmeier, Prof. Dr. Matthias Karst und Dr. Ellis Huber gehören zu den Unterzeichnern.

Auch vier Jahre nach Veröffentlichung des Gesetzes finden nach wie vor viele Patienten keine behandelnden Ärzte, weil diese den bürokratischen Aufwand beim Stellen eines Kostenübernahmeantrags oder daraus möglicherweise entstehende Regressforderungen durch die Kassen fürchten. Zudem fehlen nach wie vor staatliche Forschung sowie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Mediziner. Außerdem das Fehlen eines Lehrstuhls zu Cannabis als Medizin bemängelt. Auch dem DHV berichten Patienten  beinahe täglich, dass angesprochene Ärzte sich entweder noch nie mit Cannabis als Medizin befasst haben, Informationen zum Thema vermissen oder – im schlimmsten Fall – diese Therapieform mit ideologisch aufgeladenen Begründungen ablehnen und Patienten empfehlen, sich auf dem Schwarzmarkt zu versorgen.

Haben Patienten dann endlich medizinische Unterstützung gefunden, erweisen sich die Krankenkassen und der Medizinische Dienst nicht selten als Endgegner: Seit 2017 wurde in circa 40 Prozent aller Anträge die Kostenübernahme abgelehnt, obwohl die Kostenübernahme laut Gesetzestext nur in “begründeten Einzelfällen” abgelehnt werden darf. Diese hohe Ablehnungsquote kann vier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes sicherlich nicht länger mit fehlerhaft gestellten Anträgen begründet werden, so die Autoren des Positionpapiers. Krankenkassen und nicht Mediziner entscheiden bei Cannabis über die Therapieform. Vor allem bei psychischen Krankheitsbildern sperren sich die Krankenkassen fast ausnahmslos, wie ein Blick auf die Erkrankungen der Begleiterhebungsteilnehmer zeigt. Die Absurdität im Genehmigungsverhalten der Krankenkassen lässt sich aber wohl am besten an den Patienten aufzeigen, die bereits vor dem Gesetz mittels Ausnahmegenehmigung Cannabis medizinisch nutzen durften. Auch ihre Anträge werden sehr oft abgelehnt, wie auch uns beim DHV immer wieder berichtet wird. Wenn Menschen, wegen denen das Gesetz zu Cannabis als Medizin erlassen wurde, keine Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabis erhalten, sind die Krankenkassen in die Pflicht zu nehmen! Zudem üben die Kassen regelmäßig Druck auf Ärzte aus, sei es durch Hinweise auf drohende Regressforderungen oder den Verweis auf das Wirtschaftlichkeitsgebot bei Cannabisblüten. Druck, der behandlungswillige Mediziner neben dem hohen bürokratischen Aufwand zusätzlich Abstand nehmen lässt von Cannabis als Medizin. Im Positionspapier wird daher  folgerichtig gefordert, Mediziner besser vor finanziellen Risiken hinsichtlich Regressforderungen zu schützen und Cannabis-Verordnungen aus dem Arzneimittelbudget zu streichen, wie es die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg bereits praktiziert.

Doch es sind nicht nur die Krankenkassen, die negativen Einfluss auf die Verbreitung von Cannabis als Medizin in Deutschland ausüben. Auch vier Jahre nach der Einführung des Gesetzes sind die Preise für Cannabisblüten im Vergleich mit dem Ausland um ein Vielfaches höher. Somit ist Menschen ohne Kostenübernahme eine Behandlung mit Cannabisblüten kaum möglich. Nicht wenige landen wieder auf dem Schwarzmarkt. Das Gesetz benachteiligt gesetzlich Versicherte, die keine Kostenübernahme bekommen und sich kein Privatrezept und Cannabis aus der Apotheke leisten können, aber auch Selbstzahler, die im Gegensatz zu den Krankenkassen weiterhin die sehr hohen Preise für Blüten bezahlen müssen.

Die Forderungen im Überblick:

– Die Abgabepreise für Cannabisblüten in Apotheken müssen deutlich gesenkt werden. Als Vorbild könnte der in Schleswig-Holstein gewählte Weg dienen. Von der 2019 getroffenen gesetzlichen Regelung zur Kostensenkung profitieren aktuell einseitig die Krankenkassen, nicht aber die selbstzahlenden Patient*innen.

– Der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen muss abgeschafft werden, damit die Therapiehoheit in den Händen der behandelnden Ärzt*innen bleibt und die Behandlungsindikation nicht länger von Sozialfachangestellten der Krankenkassen oder Gutachter*innen des MDK gestellt wird.

– Regressdrohungen gegenüber Ärzt*innen müssen beendet werden. Die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg hat hierfür einen praxistauglichen Weg aufgezeigt.

– Pharmaindustrie unabhängige Fortbildungen für Ärzt*innen zum Thema Cannabis als Medizin müssen verstärkt angeboten werden. Das Thema muss darüber hinaus fester Bestandteil der Lehre im Medizinstudium werden.

– Sucht- und andere psychiatrische Erkrankungen dürfen nicht länger pauschal als Kontraindikationen für eine Cannabis-basierte Therapie eingestuft werden, die praktisch ausnahmslos zur Ablehnung des Kostenübernahmeantrags führen.

– Patient*innen mit einer ärztlich bescheinigten Indikation für eine Cannabis-basierte Therapie dürfen nicht länger strafrechtlich verfolgt werden.

– Bei Bestehen einer ärztlich indizierten Cannabis-basierten Therapie müssen Patient*innen im Hinblick auf eine Teilnahme am Straßenverkehr genauso behandelt werden, wie Patient*innen, die andere Medikamente einnehmen.

– Die klinische Forschung zur Wirksamkeit Cannabis-basierter Medikamente ist von allgemeinem Interesse und muss daher durch den Bund gefördert und finanziert werden.Die Förderung durch die öffentliche Hand ist auch deshalb erforderlich, weil klinische Forschung pharmazeutischer Unternehmen immer auf ein konkretes Produkt abzielt, eine Einschränkung, die aus Sicht von Ärzt*innen und Patient*innen nicht sinnvoll ist.

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