Nicht nur in den sozialen Netzwerken, auch auf abgeordnetenwatch.de wurde die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) nach ihrer Einschätzung zu den Erkenntnissen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages befragt, über die wir vor Kurzem berichteten. Der Wissenschaftliche Dienst war zu dem Ergebnis gekommen, dass „die Verfolgung einer strikten Drogenpolitik wenig bis keinen Einfluss auf das Konsumverhalten hat.“
Dieses Ergebnis ist natürlich nicht in Ludwigs Sinne, es entzieht ihrer repressiven Cannabispolitik jede Grundlage. Dementsprechend hat sie von Anfang an versucht, die Untersuchung in Frage zu stellen. Nachdem Daniela Ludwig auf Twitter bereits mitteilte, den Bericht gelesen zu haben, sich aber im weiteren Debattenverlauf herausstellte, dass sie das Dokument entweder nicht gründlich gelesen hat oder sich nochmal mit der geltenden Rechtssprechung in Belgien und den Niederlanden beschäftigen sollte, legt die Drogenbeauftragte nun nach.
Ein Nutzer auf abgeordnetenwatch.de fragte Daniela Ludwig:
1. Haben Sie diese Studie beim „Wissenschaftlichen Dienst“ in Auftrag gegeben?
2. Haben Sie Kenntnis vom Inhalt der Studie?
3. Glauben Sie, dass Ihre Argumente zu einer Berechtigung der Verbotspolitik – gerade hinsichtlich des Jugendschutzes – glaubwürdig und nachvollziehbar sind? Und wenn ja, warum?
Wer jetzt erwartet, dass Daniela Ludwig speziell auf die erste Frage näher eingeht, den müssen wir leider enttäuschen. Die Drogenbeauftragte habe die Zusammenfassung aber “intensiv studiert”. Und wieder versucht sie, das Ergebnis kleinzureden. Einerseits zitiert sie einen Satz aus der Einleitung des Papiers: „Darüber hinaus ist in den meisten der untersuchten Ländern der Konsum von Cannabis erst in jüngster Vergangenheit entkriminalisiert bzw. legalisiert, sodass noch keine Daten zur langfristigen Entwicklung der Konsumraten vorliegen.“ Ludwig meint also, dass man Effekte erst nach langfristiger Beobachtung nachweisen kann. Andererseits bemängelt sie, dass bei der Betrachtung der meisten Länder Daten von vor 2018 in die Studien eingeflossen sind:
Ich habe die Zusammenfassung intensiv studiert. Hierbei ist mir aufgefallen, dass sehr unterschiedliche und häufig auch recht alte Jahresszahlen zitiert wurden. Aktuelle Zahlen gibt es lediglich zu Kanada.
Man fragt sich, was Ludwig nun für wichtig hält, eine langfristige Beobachtung oder möglichst aktuelle Daten. In Colorado eröffneten die Cannabis-Shops schon Anfang 2014, so dass auch ältere Daten durchaus aussagekräftig sind für die Frage, wie sich das auf die Konsumraten auswirkt. Nur dass das Ergebnis eben nicht ins CSU-Konzept passt:
Auch für Colorado –einer der ersten Bundesstaaten in den USA, in denen Cannabis legalisiert wurde –liegen bereits Erkenntnisse zur Entwicklung des Konsums nach der Legalisierung von Cannabis vor. So kommen die Autoren einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2017 zu dem Ergebnis, dass der Konsum von Cannabis nach der Legalisierung nicht zugenommen habe.
Ludwig entscheidet sich also lieber für die aktuellsten Daten und geht in ihrer Antwort ausschließlich konkret auf Kanada ein:
Dort hat sich seit der Legalisierung von Cannabis im Oktober 2018 die Zahl der Erstkonsumenten laut einer offiziellen Studie fast verdoppelt. Demnach konsumierten von Januar bis März 2019 646.000 Menschen nach eigenen Angaben zum ersten Mal Cannabis – fast doppelt so viel wie im ersten Quartal 2018 mit 327.000.
Der Wissenschaftliche Dienst gibt dazu Folgendes zu bedenken:
“Es bleibt insofern abzuwarten, ob es sich bei festgestellten Veränderungen im Konsumverhalten um kurzfristige Abweichungen handelt oder ob die jeweiligen Gesetzesänderungen tatsächlich auch zu einer langfristigen Änderung des Konsumverhaltens führen.” […]
“Ein weiterer Aspekt, der bei der Einordnung vorliegender Studienergebnisse zu berücksichtigen ist, ist die Art der Datenerhebung. In der Regel handelt es sich hier um Befragungen, teilweise beschränkt auf bestimmte Personengruppen, wie z. B. Schüler bestimmter Klassenstufen. Insbesondere im Hinblick auf die Vergleichbarkeit von Befragungsergebnissen vor und nach einer Entkriminalisierung bzw. Legalisierung von Cannabis ist darauf hinzuweisen, dass das Antwortverhalten innerhalb der gleichen Gruppe abweichend ausfallen und zu Verzerrungen führen kann. So ist die Bereitschaft zur Angabe eines Drogenkonsums möglicherweise größer, wenn es sich um legale Drogen statt illegaler Drogen handelt. Dadurch ist nicht auszuschließen, dass ein Anstieg der Konsumraten nach einer Legalisierung zum Teil auf ein verändertes Antwortverhalten der Befragten zurückzuführen ist.”
Dennoch wird ein solcher Anstieg wie oben erwähnt zum Beispiel aus Colorado nicht berichtet. Alle aktuellen Daten zeugen tatsächlich von einem Konsumanstieg nach der Legalisierung in Kanada. Und damit hat Ludwig ihr Argument, das wir sicher noch oft von ihr hören werden. Die Sache hat nur einen Haken. Es sind nicht die Jugendlichen, die Daniela Ludwig mit der repressiven Cannabispolitik angeblich schützen will, sondern die Alten, die nach der Legalisierung Cannabis ausprobieren. Darauf weist auch der Wissenschaftliche Dienst hin, was Ludwig natürlich wiederum verschweigt:
Nach Angabe von SC hätten im ersten Quartal des Jahres 2019 insgesamt circa 5,3 Millionen Kanadier im Alter von mindestens 15 Jahren Cannabis konsumiert. Dies entspricht 18 Prozent der Bevölkerung. Der Wert liegt damit vier Prozent über dem ein Jahr zuvor (und damit vor der Legalisierung) ermittelten Wert, der bei 14 Prozent lag. Ein Großteil des Anstiegs ist auf den gestiegenen Konsum von Cannabis in der Gruppe der Männer im Alter von 45 bis 64 Jahren zurückzuführen. Die Ergebnisse deuten nach Ansicht von SC darauf hin, dass auch die Erstkonsumenten nach der Legalisierung von Cannabis älter waren als davor. So sei die Hälfte der neuen Konsumenten mindestens 45 Jahre alt gewesen, während im selben Zeitraum 2018 lediglich ein Drittel der neuen Konsumenten dieser Altersgruppe angehörte. Der Anteil der Personen im Alter von unter 25 Jahren, die Cannabis konsumierten, sei hingegen unverändert geblieben.
Neueste offizielle Daten aus Kanada zeigen sogar einen deutlichen Rückgang bei den jugendlichen Konsumenten, während Ältere mal probieren:
Between 2018 and 2019 cannabis use increased, particularly among persons aged 25 and older (13.1% to 15.5%) and among males (17.5% to 20.3%). The corresponding rates for 15- to 24-year-olds (27.6% to 26.4%) and females (12.3% to 13.4%) remained constant. Whereas use among 15- to 17-year-olds declined (19.8% to 10.4%).
Der Konsum von Jugendlichen in den letzten drei Monaten vor der Befragung ist nach der Legalisierung in Kanada von 19,8 auf 10,4 Prozent gesunken! Wenn Ludwig Kanada als Negativbeispiel für Legalisierung etablieren will, muss sie also ihr wichtigstes Argument ändern:
Cannabis muss verboten bleiben, um unsere Alten zu schützen!
Weiter weist Ludwig in ihrer Antwort auf abgeordnetenwatch darauf hin, dass der wöchentliche und gelegentliche Konsum gestiegen sei. Was sie nicht erwähnt, aber in den oben verlinkten neuesten Daten von Statistics Canada zu finden ist: Der tägliche oder fast tägliche Konsum hat sich nicht verändert:
Daily or almost daily use (DAD)
On average, in 2019, 6.0% of Canadians aged 15 or older reported using cannabis DAD; about the same level as 2018 (5.9%) (Table 1). Regardless of year, DAD users were also more likely to be male and aged 18 to 44.
Zuletzt hat Ludwig bei ihrem Kanada-Bashing noch ein lahmes Argument im Köcher:
Nicht einmal drei von zehn kanadischen Konsumenten bezogen im dritten Quartal 2019 ihr Cannabis nur aus legalen Quellen, wie das kanadische Statistikamt berichtet. Der Rest kauft weiter auf dem Schwarzmarkt. Die erhofften Effekte sind nicht eingetreten.
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass sich fast 30 Prozent der Konsumenten völlig vom Schwarzmarkt gelöst haben und ausschließlich offizielles, saubers und versteuertes Cannabis konsumieren und weitere Kanadier sowohl auf den offiziellen als auch den Schwarzmarkt zugreifen. Dass nicht 100 % des Marktes an einem Tag umgeschaltet werden, dürfte wohl klar sein. Die Transformation in einen regulierten Markt dauert eine Weile, aber jedes Prozent an Konsumenten, die nicht mehr auf den Schwarzmarkt angewiesen sind, ist die Legalisierung wert. Wenn Ludwig auf 100 % Schwarzmarkt steht, liegt sie mit ihrer Verbotspolitik natürlich richtig, immerhin das kann die Prohibition liefern.
Powered by WPeMatico